Europarechtliche Beschränkungen
Die Europäische Kommission betrachtet Rundfunk als eine Dienstleistung. Sie erkennt an, dass öffentlich-rechtliche Medien in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) eine besondere Funktion im Hinblick auf die kulturelle und sprachliche Vielfalt sowie für die objektive Information der Öffentlichkeit besitzen. Zugleich verweist sie darauf, dass Umfang, Finanzierung und Ausgestaltung dieser spezifischen öffentlichen Dienstleistung im alleinigen Ermessen der Nationalstaaten stehen, solange dem widersprechende wettbewerbsrechtliche Aspekte nicht tangiert werden. In dieser Auffassung kann sich die Kommission auf die Gründungsverträge der EG berufen und insonderheit auch auf das für die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einschlägige Zusatzprotokoll zum Amsterdamer Vertrag, das einen – in seinen konditionalen Bestimmungen oft übersehenen – Bezug zum Handels- und Wettbewerbsrecht herstellt. Im Protokoll heißt es an maßgebender Stelle: „Die Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft berühren nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu finanzieren, sofern [sic!] die Finanzierung der Rundfunkanstalten dem öffentlich-rechtlichen Auftrag, wie er von den Mitgliedstaaten den Anstalten übertragen, festgelegt und ausgestaltet wird, dient und die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft, wobei den Erfordernissen der Erfuellung des öffentlich-rechtlichen Auftrags Rechnung zu tragen ist.“ (Amtsblatt Nr. C 340 vom 10/11/1997, S. 0109)
Die privilegierte Stellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks findet sich demnach bereits im Amsterdamer Protokoll an die Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregelungen gekoppelt. Aufgrund dessen sowie der Bestimmungen aus Art. 86 Abs. 2 EG-Vertrag (EGV) betrachtet die Kommission die Überprüfung in der Festlegung, Übertragung und Kontrolle des besonderen Auftrags der öffentlich-rechtlichen Medien in den Mitgliedsstaaten als in ihrer Zuständigkeit obliegend. Sie hat zuletzt, insbesondere im sogenannten Beihilfekompromiss vom 24. April 2007 – dem Einstellungsbeschluss zu einer im März 2005 aufgrund der Beschwerden von privatwirtschaftlich agierenden Wettbewerbern eingeleiteten Untersuchung nach den Beihilfevorschriften des EG-Vertrags – festgestellt, dass die Zuwendung von Finanzmitteln an die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland rechtlich als Beihilfe einzustufen ist. (Staatliche Beihilfe E 3/2005)
Der Argumentation der Kommission zufolge handelt es sich bei den Einnahmen aus Rundfunkgebühren um „staatliche Mittel“. Es sei „irrelevant“, dass die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland nicht unmittelbar aus dem Staatshaushalt erfolge. Zu konstatieren sei vielmehr, dass die Länder den Sendeanstalten das Hoheitsrecht des Gebühreneinzugs übertragen haben. Somit handele es sich um eine den Besitzern und Besitzerinnen von Rundfunkgeräten auferlegte „Zwangsabgabe“ – sprich: um Rundfunkgebühren, die „nach ähnlichen Verfahren eingezogen werden wie Steuern“. Im Sinne des EG-Vertrags bildeten diese allerdings keine unerlaubte Beihilfe, sondern eine sogenannte bestehende Beihilfe (Altbeihilfe), die vor dem Inkrafttreten (einschließlich der zur schrittweisen Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes in Art. 8 des EWG-Vertrages vorgesehenen Übergangsfrist von 12 Jahren) des EWG-Vertrags (1957) eingeführt wurde. Sie sei als EU-konform zu bewerten, insoweit vom nationalen Gesetzgeber – im vorliegenden Fall: von den Bundesländern – keine diese Regelungen „‚in ihrem Kern‘“ berührende Änderungen vorgenommen würden.
Solche kernbezogenen Änderungen wären in Entsprechung zur Argumentation der Kommission bereits dann gegeben, wenn, wie in Deutschland von der Rundfunkkommission der Länder diskutiert, das System des Gebühreneinzugs modernisiert würde. Alternative Lösungen zu der bestehenden, auf das Bereithalten eines Empfangsgeräts bezogenen Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – im Gespräch sind: eine Bürgerabgabe bzw. Kopfpauschale, eine Haushalts- und Unternehmensabgabe sowie Steuermodelle – würden unweigerlich als Neubeihilfe eingestuft und bedürften einer Notifizierung mit dann absehbaren Einflussnahmen auf die deutsche Rundfunkordnung durch die Kommission. Doch bildet dies nur einen Nebenaspekt in den noch aufzuzeigenden Verfahrensfolgen.
Mit der Zustimmung zum Beihilfekompromiss hat sich die Bundesregierung förmlich dazu verpflichtet, den öffentlichen Rundfunkauftrag für Telemedien und digitale Zusatzangebote zu präzisieren sowie jede Ausdehnung des öffentlich-rechtlichen Auftrags auf neue oder veränderte digitale Dienstleistungen, einschließlich mobiler Dienste, einem Prüfverfahren durch die Rundfunkanstalten, dem sogenannten Drei-Stufen-Test, zu unterziehen. Neben weiteren eingegangenen Zusagen – darunter die strukturelle Trennung von kommerziellen Tätigkeiten und Tätigkeiten im Rahmen des öffentlichen Auftrags, zusätzliche Kontrollbefugnisse der Rechnungshöfe für die kommerziellen Beteiligungsgesellschaften der Rundfunkanstalten, das Verbot einer Überkompensation (die Einnahmen aus Rundfunkgebühren dürfen die aus dem öffentlich-rechtlichen Auftrag erwachsenden Nettokosten nicht überschreiten) sowie die Gewährleistung einer transparenten Geschäftspolitik in der Handhabung öffentlich-rechtlich erworbener Sportrechte – erklärte sie dort zugleich, dass sie der Qualifizierung der Gebührenfinanzierung als eine staatliche Beihilfe durch die Kommission nicht zustimme.
Die deutsche Seite hat demnach den aus der Rechtsposition der Kommission abgeleiteten Konsequenzen zugestimmt, ohne den Rechtsstandpunkt über die Reichweite des Gemeinschaftsrechts – sprich: die den Konsequenzen zugrunde liegende Substanz – anzuerkennen. In dieser eigentümlichen Haltung hoffte sie offenbar sich auf zwei Bedingungen stützen zu können. Erstens auf die insbesondere im Umfeld der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten gefestigte Rechtsauffassung, nach der die Frage einer Vereinbarkeit der Gebührenfinanzierung nach nationalem Recht mit dem EU-Beihilferegime zu bejahen sei. Zweitens auf den Umstand, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) bis dato nicht über den Charakter der deutschen Rundfunkgebühr entschieden hatte. Beides muss inzwischen als hinfällig betrachtet werden. Das zeigt eine Entscheidung jüngeren Datums des EuGH.
Dieser entschied im Dezember 2007 zugunsten eines Reinigungsunternehmens, das im Bieterstreit um einen Dienstleistungsauftrag der Gebühreneinzugszentrale (GEZ) unterlegen war. (EuGH, Urteil vom 13.12.2007, C-337/06) In diesem – von der deutschen Medienpolitik wenig beachteten – Urteil stellte der Gerichtshof fest, dass die Rundfunkgebühr „ihren Ursprung im Rundfunkstaatsvertrag hat also in einem staatlichen Akt“. Die Gebührenpflicht in Deutschland basiere nicht auf einem Rechtsgeschäft zwischen Rundfunkanbietern und Verbrauchern, sondern – unabhängig von der tatsächlichen Nutzung des Programmangebots – allein auf dem Sachverhalt des Bereithaltens eines Rundfunkgeräts. Auch die Festsetzung der Gebührenhöhe sei, so hieß es weiter, „durch den Staat bestimmt“. Ihr liege „eine förmliche Entscheidung der Landesparlamente und Landesregierungen“ zugrunde, die im Falle der über ihre Entscheidungsvorlage befindenden Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) lediglich „einer Expertenkommission Hoheitsbefugnisse übertragen hätte[n]“. Gleichsam erfolge auch die Erhebung der Gebühr gemäß Rundfunkgebührenstaatsvertrag „im Wege hoheitlichen Handelns“ durch die dazu beauftragte GEZ. Ausdrücklich zurückgewiesen wurde in diesem Zusammenhang ein Vergleich mit den Honorarordnungen von in Deutschland niedergelassenen Ärzten, Rechtsanwälten und Architekten, die ebenfalls durch den Staat festgesetzt werden, gleichzeitig aber keine Finanzierung durch den Staat bedeuteten. Im Unterschied zur Rundfunkgebühr trete der Verbraucher mit den Angehörigen dieser Berufe „stets freiwillig in eine Vertragsbeziehung“ ein und erhalte von ihnen „immer eine tatsächliche Leistung“. Eine Finanzierung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten durch den Staat liegt dem Urteil des EuGH letztendlich vor, wenn diese „überwiegend durch eine Gebühr finanziert werden“. Das „Kriterium der Verbundenheit dieser Einrichtungen mit dem Staat“ sei selbst in jenem Falle als erfüllt anzusehen, wenn der Staat keinen Einfluß auf die Auftragsvergabe nehme.
Die hier in bewusst länglicher Form wiedergegebenen und in den substantiellen europarechtlichen Darlegungen deckungsgleichen Argumentationen von Kommission und EuGH zeigen deutlich, dass das spezifisch bundesdeutsche Verfahren einer staatsfernen Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über Verwaltungsgebühren auf der Ebene des von wirtschaftlichen Interessen motivierten Marktansatzes der Gemeinschaft keinen Rückhalt findet. Aus der sich funktional begründenden Perspektive eines auf binnenmarktliche Harmonisierung zielenden, mit dem Gestaltungswillen des positiven Rechts ausgerichteten Rahmens für eine europäische Medienordnung bleibt für die Berücksichtigung von in den Mitgliedsstaaten je unterschiedlich gewachsenen Formen der Ausdifferenzierung von Staat und Medien offensichtlich wenig Platz. Bewertungen über die Rechtsnatur der Rundfunkgebühr als eine „Abgabe sui generis mit beitragsartigen Elementen“ (Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner), wie sie nach heute überwiegender Rechtsmeinung von deutscher Seite dargebracht werden, um die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Systems auszuweisen, müssen aus dieser Sicht als ein geradezu metaphysischer Rest erscheinen.
Jenseits einer solch rechtsfunktionalen Einstufung allerdings verbleibt der Sachverhalt, dass das europäische Wettbewerbsrecht einen historisch konstituierenden Kernbereich des Gemeinschaftsrechts bildet. Die Übertragung der Wettbewerbsvorschriften auf Systeme der elektronischen Information und Kommunikation wurde allerdings erst zu einem Zeitpunkt bedeutsam, als die Privatisierung und Digitalisierung von Kommunikationsinfrastrukturen in Verbindung mit einer sich schnell entwickelnden Digitaltechnik ein lukratives Wachstumsfeld für private Investitionen eröffneten. Dass das Wettbewerbsrecht unter diesen weiterhin Gewinn und Wachstum versprechenden Bedingungen zur Disposition gestellt werden wird, ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten.
Regulierungsfragen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von den wettbewerbsrechtlichen Bedingungen des Europarechts auszunehmen, kann nach den vorgebrachten Darlegungen nur gelingen, wenn der Funktionsauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten präzisiert wird. Dazu ist zu einem originär öffentlich-rechtlichen Auftrag zurückzukehren. Die fortschreitenden Tendenzen in der Kommerzialisierung des öffentlich-rechtlichen Programmangebots und die unzureichende Trennung von kommerziellen Tätigkeiten und Tätigkeiten im Rahmen des öffentlichen Auftrags müssen – darin in Entsprechung zum Ausnahmetatbestand für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse nach Art. 86 Abs. 2 EGV – aufgehoben werden. Andernfalls geraten ARD und ZDF zunehmend und weiter unter den voranschreitenden Druck des europäischen Wettbewerbsrechts. Über ihre Zukunft wird dann nicht mehr autonom entschieden, sondern von der EU-Kommission.
Teil I: Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen
Teil III: Regulierung im Digitalzeitalter
Teil IV: Funktionsauftrag im Digitalzeitalter