DIGITALE LINKE
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Öffentlich-rechtlicher Rundfunk im Digitalzeitalter. Teil III: Regulierung im Digitalzeitalter

Regulierung im Digitalzeitalter

Digitalisierung, Kommerzialisierung und Konvergenz bilden die grundlegenden Herausforderungen für eine künftige Ausgestaltung der Medienordnung: Digitale Programminhalte werden in naher Zukunft aufgrund technischer Adressierbarkeit nicht nur zielgerichtet Verbreitung finden, sondern immer öfter auch ortsunabhängig, zeitsouverän und interaktiv genutzt. Die vormalige Trennung zwischen Rundfunk und Telekommunikation wird in einer Konvergenz der Netze aufgelöst. Rundfunk kann heute über Telefonnetze angeboten werden, Fernsehen ist über Internetverbindungen und Internetzugänge und Telefonie sind über Fernsehkabelnetze und Rundfunkfrequenzen möglich. Die Digitalisierung verschafft somit neuen Akteuren Marktzugang. Neben etablierten Senderfamilien und Betreibern themenorientierter Programmkanäle treten zusätzlich Kabelnetz- und Telekommunikationsanbieter sowie finanzstarke Konkurrenten aus der Welt des Internet in den Rundfunkmarkt ein.

Sie alle eint das Bestreben, Rundfunk kommerziell, nach rein betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten und relativ unabhängig von kulturellen und politischen Dimensionen eines demokratischen Gemeinwesens zu betreiben. Ohne dezidierte medienrechtliche Rahmenbedingungen werden die Bedingungen des Marktes und des Wettbewerbs zum bestimmenden Beweggrund digitaler Kommunikation in einem von Konzentrations- und Zentralisationsprozessen geprägten Umfeld medialer Technologie und Entwicklung. Einflussnahmen auf die öffentliche Meinung werden durch solch kommerziell getriebenen Akteure durch die elektronische Konditionierung des Nutzungsverhaltens mit individuell zugeschnittener Werbung, der Bündelung und Verwertung von Inhalten in vordefinierten Programmpaketen, durch Navigatoren und elektronische Programmführer (EPG) sowie durch einseitig dominierte Empfangsgeräte und Set-Top-Boxen erfolgen.

Die zu skizzierende Problemkette reicht von einem Bedeutungszuwachs über unterschiedliche Netzinfrastrukturen betriebener Programmplattformen – mit Gatekeeper-Funktionen in der Zusammenstellung von Programmangeboten, in der Setzung von proprietären Gerätestandards sowie in der Herstellung von Endkundenbeziehungen – über den Ausbau potentiell meinungsbildender Machtpositionen durch vertikale Integrationen von Plattform- und Netzbetreibern bis hin zu der Erhebung von zusätzlichen Entgelten für die Übermittlung von Sendesignalen im Rahmen einer nun möglichen Grundverschlüsselung. Erhöhter Aufsichtsbedarf besteht auch bei der Einflussnahme auf Nutzungsgewohnheiten und das Verbraucherverhalten durch individuelle Personalisierung von Programmangeboten, in der Speicherung und Weitergabe persönlicher Nutzungsdaten sowie der Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten durch Digital Rights Management (DRM). Zudem sind künftig Geschäftsmodelle denkbar, die mittels der Technologie den Zugriff auf Inhalte konditionieren könnten. Das alles wäre weder im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher noch im Sinne der Gewährleistung von Meinungsvielfalt.

Festzuhalten ist: Die besondere Suggestivkraft audiovisueller Medien und ihre potentielle Einwirkung auf die politische Meinungsbildung demokratischer Gesellschaften bestehen im Digitalzeitalter bis auf weiteres fort. Damit bleiben die Sicherung der Vielfalt des Programmangebots, die Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht und der Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Gestaltung einer progressiven Medienordnung von zentraler Bedeutung. Aus diesem Grund plädieren wir dafür, eine einheitliche Digitalplattform für alle Programmanbieter zu schaffen: Die öffentlich-rechtlichen und die privaten Rundfunkanbieter sollten staatsvertraglich verpflichtet werden, ihre Programme über eine solche Plattform einzuspeisen. Damit wären der diskriminierungsfreie Zugang aller Anbieter und die Auffindbarkeit aller Programme garantiert, einheitliche technologische Standards gesetzt sowie Interessen des Verbraucher- und Datenschutzes gewährleistet. Es handelte sich um eine digitale „must-carry“-Verpflichtung, die nach Art. 31 Abs. 1 der Universaldienstrichtlinie auch europarechtlich möglich wäre. (Richtlinie 2002/22/EG; S. 51)

Die Regelung würde für alle Übertragungswege gelten, über die auch jetzt schon Rundfunk verbreitet wird, einschließlich von Handy-TV, des über geschlossene IP-Netze transportierten IPTV (Internetprotokoll-Fernsehen) sowie Angebote des Web-TV (Internet-Fernsehen), die als Rundfunk anzusehen sind. Über eine solch technologisch regulierte Plattform wären dann alle öffentlich-rechtlichen und privaten frei empfangbaren Sender aufzufinden, die keine weitere Freischaltgebühr erheben. Eingespeist würden auch die Programme von Lokal- und Regional-TV-Anbietern sowie der Offenen Kanäle. Ebenso müssten Pay-TV-Anbieter ihre Angebote auf dieser Plattform aufsetzen, wenngleich ihnen weitergehende Adressierungsfunktionen zugestanden würden.

Eine digitale „must-carry“-Regelung würde Kabel-, Satelliten- und weitere Programmplattformanbieter verpflichten, allen Gebührenzahlerinnen und –zahlern über einen einheitlichen Standard die dargebotenen Programmangebote zur Verfügung zu stellen. Die Gerätehersteller wären ferner über die bestehenden technologischen Standardisierungsgremien dazu aufgefordert, entsprechend verbraucherfreundliche technische Lösungen anzubieten. Auf diese Weise wäre auch – wie es die Landesmedienanstalten in einem Eckpunktepapier beispielgebend für Navigatoren fordern – „der chancengleiche und diskriminierungsfreie Zugang und die chancengleiche und diskriminierungsfreie Auffindbarkeit aller Programmanbieter sowie die freie Programmwahl durch den Zuschauer rundfunkrechtlich sicherzustellen.“  Die Aufsichtsbehörden schließlich hätten dafür Sorge zu tragen, dass nur diejenigen Anbieter eine Zulassung erhalten, die den einfach geschützten Zugang zu den de facto freien Programmen ermöglichen.

Die Ausstrahlung der Programme erfolgte signalkodiert, eine Freischaltung der Signalkodierung über eine Smartcard oder ein Passwort. Somit könnten alle vom Rundfunkgebührensystem erfassten Personen die öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkinhalte unabhängig vom Verbreitungs- und Empfangsweg sowie von der Art des Empfangsgeräts nutzen. Haushalte mit mehreren TV-Geräten könnten über Set-Top-Boxen mit Router-Funktionalität bedient werden. Für die Nutzung von Handy-TV reichte eine Aufrüstung der persönlichen Mobilfunk-Chipkarte (SIM-Karte) mit Registrierungsfunktion.

Eine nichtdiskriminierende Signalkodierung (Verschlüsselung) in Verbindung mit der geschilderten technischen Regulierung hätte folgende Vorteile:

Erstens: Die „Finanzierung der Gesamtveranstaltung“ (BVerfGE 31, 314 330) Rundfunk wird weiter gewährleistet. Es handelt sich um eine Fortentwicklung des bestehenden Rundfunkgebührensystems. Eine Neunotifizierung vor der EU-Kommission ist nicht erforderlich.

Zweitens: Die GEZ bliebe erhalten, gleichzeitig werden Kontrollen durch die von den Landesrundfunkanstalten engagierten Gebührenbeauftragten, über deren dubiose Fahndungsmethoden und aggressives Verhalten es immer wieder Beschwerden gibt, ebenso überflüssig wie die Erhebung personenbezogener Daten über Meldeämter und Dritte.

Drittens: Lizenzrechte werden heute international nach regional gestaffelten Tarifen vermarktet. ARD und ZDF können beim Programmeinkauf in den USA und anderswo erhebliche Kosteneinsparungen erzielen, wenn sie statt der europaweiten deutschsprachigen Rechte nur die regionalen Rechte für Deutschland (bzw. für registrierte Gebührenzahler unabhängig vom Aufenthaltsort) erwerben. Nach unseren Schätzungen handelt es sich um ein Einsparpotential von mehr als 400 Mio. Euro.

Viertens: Es werden verbraucher- und datenschutzrechtliche Standards gesetzt, indem Adressierungsfunktionen zur Errichtung von kommerziellen Endkundenbeziehungen für die öffentlich-rechtlichen Anbieter auszuschliessen sind und für die Privaten nur nach Zustimmung durch die Nutzerinnen und Nutzer erfolgen. Eine Protokollierung des Mediennutzungsverhaltens wird generell untersagt.

Fünftens: Beschränkungen der Nutzungsmöglichkeiten durch Digital Rights Management mittels Broadcast Flag können für frei empfangbare Angebote ausgeschlossen werden.

Die Errichtung einer einheitlichen digitalen Plattformregulierung kann für den TV-Bereich schnell umgesetzt werden. Nach den Planungen der Bundesregierung sollen ab 2010 alle Fernsehprogramme nur noch digital ausgestrahlt werden. Anders sieht es im Hörfunkbereich aus. Hier wäre der Ausbau des digitalen Radioempfangs zügig voranzutreiben und ein verbindlicher Umstellungstermin zu setzen. Für eine Übergangszeit könnten eventuell zu erwartende Gebührenausfälle bei Hörfunkgeräten durch die infolge der Signalkodierung anfallenden Einsparungen kompensiert werden. Die für die Verbraucherinnen und Verbraucher entstehende Notwendigkeit, sich neue Digitalreceiver anzuschaffen, sollte sozialpolitisch unterlegt werden.

 

Teil I: Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen

Teil II: Europarechtliche Beschränkungen

Teil IV: Funktionsauftrag im Digitalzeitalter

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