DPA gibt heute den Chef der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, Martin Stadelmaier (SPD), mit den Worten wieder, der künftige Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) sehe „keine Netzsperren à la Zensursula“ vor. (Nachzulesen in einer leicht abgewandelten Version via Zeit Online.) Laut Stadelmaier, der im Auftrag von Kurt Beck die Rundfunkpolitik der Länder koordiniert, beinhalte der Staatsvertragsentwurf auch keine „Zwangsklassifizierung“ für Alterseinstufungen von Internetseiten.
Nun liegt der Arbeitentwurf (Stand: 7. Dezember 2009) zur Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages vor und jeder kann sich selbst ein Bild davon machen. Daher an dieser Stelle einige Bemerkungen dazu:
Auffällig ist zunächst eine Ausweitung des Anbieterbegriffs. Demnach sind im Sinne des Staatsvertrags:
Alt: § 3 Begriffsbestimmungen: Abs. 2 S.2: Anbieter“ Rundfunkveranstalter oder Anbieter von Telemedien.
Neu: § 3 Begriffsbestimmungen: Abs. 2 S.2: „ Anbieter“ Rundfunkveranstalter, Anbieter von Plattformen im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages oder natürliche oder juristische Personen, die eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithalten oder den Zugang zur Nutzung vermitteln.
Das heißt, in der Neufassung werden nicht mehr nur Inhalteanbieter (Content Provider), sondern auch Zugangsanbieter (Access Provider) in die Verantwortlichkeitsregelungen des JMStV einbezogen. Für letztere bedeutet dies eine Ausweitung der Haftungsverantwortung für die Übermittlung fremder Inhalte mit entsprechend weitreichenden Folgen.
Das zeigt sich an der Neufassung von § 5 Entwicklungsbeeinträchtigende Angebote:
Alt: § 5 Abs. 1: Sofern Anbieter Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, verbreiten oder zugänglich machen, haben sie dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufen sie üblicherweise nicht wahrnehmen.
Neu: § 5 Abs. 1: Sofern Anbieter Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, verbreiten oder zugänglich machen, haben sie dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufen sie üblicherweise nicht wahrnehmen. Die Altersstufen sind:
1. ab 6 Jahren,
2. ab 12 Jahren,
3. ab 16 Jahren,
4. ab 18 Jahren.
Die Altersstufe „ab 0 Jahre“ kommt für offensichtlich nicht entwicklungsbeeinträchtigende Angebote in Betracht.
Zwar ist die Einführung von Kennzeichnungen zur Alterklassifizierungen in § 5 Abs. 2 S. 1 (Neufassung) lediglich als Kann-Bestimmung gefasst – sprich: als eine Möglichkeit vorgesehen –, doch sind Verstöße dagegen nach dem neugefassten § 24 Abs. 3b u. 4a als Ordnungswidrigkeit zu behandeln und entsprechend zu ahnden. Zudem heißt es an gleicher Stelle in S. 4 ff. auch:
Neu: § 5 Abs. 2 S. 4–6.: Die Kennzeichnung von Angeboten, die den Zugang zu Inhalten vermitteln, die gemäß §§ 7 ff. des Telemediengesetzes nicht vollständig in den Verantwortungsbereich des Anbieters fallen, insbesondere weil diese von Nutzern in das Angebot integriert werden oder das Angebot durch Nutzer verändert wird, setzt voraus, dass der Anbieter nachweist, dass die Einbeziehung oder der Verbleib von Inhalten im Gesamtangebot verhindert wird, die geeignet sind, die Entwicklung von jüngeren Personen zu beeinträchtigen. Der Anbieter hat nachzuweisen, dass er ausreichende Schutzmaßnahmen ergriffen hat. Dieser Nachweis gilt als erbracht, wenn sich der Anbieter dem Verhaltenskodex einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle unterwirft.
Dies ist eine Regelung, die insbesondere Anbieter von Sozialen Netzwerken und Web2.0-Plattformen betrifft. Sie wären gezwungen, User Generated Content einer Kontrollinstanz zu unterwerfen – ein schon vom Ausmaß her unmögliches Unterfangen. Zugleich hätte es im Falle von per Staatsvertrag nicht zu kontrollierenden ‚ausländischen’ Anbietern ebenfalls Folgewirkungen auf die Verantwortlichkeit der ‚einheimischen’ Access Provider.
Eine unverhältnismäßige und völlig unzureichende Übertragung von Normen aus der Welt des Rundfunks stellen auch technische Sperrmaßnahmen und Sendezeitbegrenzungen für entwicklungsbeeinträchtigende Angebote nach § 5 Abs. 4 u. 5 (Neufassung) dar. Sendezeitbegrenzungen im Internet widersprechen der grundlegenden Logik des Netzes und über Sperrmaßnahmen ist alles gesagt – sie bedeuten zwangsläufig Zensur.
Fazit: Die Zugangsanbieter wären nach der Novellierung des JMStV in der Tat gezwungen, die von ihnen übermittelten Inhalte zu kontrollieren. Das bedeutete den Aufbau einer Internet-Zensurinfrastruktur durch die Hintertür. Sie wäre – wie der AK Zensur in einer „Stellungnahme zum JMStV“ festhält, „weitaus umfangreicher“ (S. 5) als jene in dem von Ursula von der Leyen (CDU) initiierten Zugangserschwerungsgesetz (ZugErschwG). „Auf der sicheren Seite“ wäre ein Zugangsanbieter nur, so der AK Zensur weiter, „wenn er das gesamte ‚ausländische’ Internet blockiert“ (S. 6).
Stadelmaier verkündet also allenfalls die halbe Wahrheit.
[Update:] Laut einer Pressemitteilung von eco, dem Verband der Internetwirtschaft, haben die Ländervertreter nun klargestellt, das abgestufte System der Verantwortlichkeiten verschiedener Arten von Internet-Anbietern nicht zu ändern. Auch in einem Bericht von Heise Online ist davon die Rede, dass die Novellierung des JMStV keine Kompletthaftung der Zugangsprovider für Inhalte im Internet bringen soll. Allerdings heißt es dort auch, die Zugangsprovider sollten nicht ganz aus der Verantwortung entlassen werden. Klarheit wird bestehen, sobald der nächste Entwurf am 24. Februar der Rundfunkkommission und am 25. März der Ministerpräsidentenkonferenz zugeht.
[…] geplante Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) war an dieser Stelle bereits Thema. Auch deutete sich damals bereits an, dass die ursprünglich vorgesehene […]