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Verwaiste Werke: wie weiter?

Hier und dort ist bereits über die neue EU-Richtlinie zu verwaisten und vergriffenen Werken berichtet worden. Es geht darum, dass Bibliotheken und Archive das Recht bekommen sollen, geschützte Werke, deren Urheber nicht auffindbar sind oder die nicht mehr kommerziell lieferbar sind, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eigentlich eine gute Sache, doch leider ist die Richtlinie nach einem guten ersten Aufschlag der Kommission beim Lauf durch die Instanzen verschlimmbessert worden. So richtig zufrieden ist jetzt niemand mehr. Aus Sicht der Gedächtnisorganisationen geht die Richtlinie nicht weit genug. Non-Profit-Organisationen wie Wikimedia winken sowieso ab, weil sie von vornherein nicht zum Kreis derjenigen gehören, die durch die Regelung privilegiert werden sollen.

Aber die Richtlinie ist nun mal eine Vorgabe der EU. Es wird sich also die Frage stellen, wie sie in nationales Recht umgesetzt werden soll. Und zwar eher früher als später, denn das Bundesjustizministerium hat in Sachen Urheberrecht nicht viel, womit es in dieser Legislaturperiode noch punkten kann. Der lang erwartete Dritte Korb wird jedoch nicht mehr kommen, weil sich die Koalition zu keiner einheitlichen Position durchringen kann. Vom Leistungsschutzrecht für Presseverleger ganz zu schweigen. Bleibt eine revidierte Bagatellregelung für den Abmahn-Wahn, die Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bereits angekündigt hat, eine Entfristung des §52a – und eben eine Regelung für verwaiste Werke. Im Grunde sind sich alle einig, dass in diesem Bereich etwas passieren soll.

Umso wichtiger werden nun Detailfragen. Eine davon betrifft die Einbindung der Verwertungsgesellschaften. Die VG WORT hatte ursprünglich eine privatwirtschaftliche Lizenzierungslösung vorgeschlagen. Dieser Vorschlag lässt sich nicht mehr 1:1 umsetzen, da die Richtlinie ausdrücklich eine Schrankenregelung verlangt. Seitdem rührt VG-WORT-Chef Robert Staats bei verschiedenen Kongressen (z.B. hier) die Werbetrommel dafür, im Rahmen der anstehenden Neuregelung verwaiste und vergriffene Werke in einen Topf zu werfen. Dahinter steht der Versuch, der VG WORT Einnahmen zu sichern. Denn an vergriffenen Werken können Verleger, deren Interessen die VG WORT hauptsächlich vertritt, Urheberrechte geltend machen, während die Rechte an verwaisten Werken in der Regel bei den Autoren liegen dürften. Eine gemeinsame Regelung für beide Werkkategorien könnte bedeuten, dass die Bibliotheken für jedes digitalisierte Buch an die VG WORT zahlen – statt nur für jene, deren Rechteinhaber nachträglich wieder auftauchen.

Ein weiterer Kampfplatz wird sich im Hinblick auf die erlaubten Nutzungsarten eröffnen. Klar ist ohnehin, dass lediglich eine öffentliche Wiedergabe bzw. eine öffentliche Zugänglichmachung durch die privilegierten Institutionen (Archive, Bibliotheken etc.) erlaubt sein wird. Es geht also, kurz gesagt, um Online-Rechte. Ein vergriffenes Buch nachzudrucken, wird einer Bibliothek auf keinen Fall erlaubt sein. Eine spannende Frage wird aber sein, in welchem Rahmen die Online-Zugänglichmachung ermöglicht werden soll. Die Richtlinie gibt vor, dass sich die Nutzung im Rahmen der bereits bestehenden Schrankenregelungen bewegen soll. Vor diesem Hintergrund stellt sich z.B. die Frage, ob das Digitalisat als read-only-Datei zugänglich gemacht wird, oder ob Endnutzer sich davon private Kopien ziehen bzw. Ausdrucke anfertigen dürfen. Wenn man an die Streitigkeiten denkt, die es um solche Nutzungen im Rahmen der § 52a und § 52b UrhG gegeben hat, kann einem schummerig vor Augen werden. Ein großes DRM-Comeback wäre sicher nicht das, was sich die meisten Nutzer von einer Regelung zu den verwaisten Werken erhoffen.

Natürlich wird es auch Streit um die angemessene Entschädigung geben, die „fair compensation“, die an nachträglich auftauchende Urheber gezahlt werden muss. Wie hoch soll eine solche Entschädigung sein? Das deutsche Verbändemodell sieht dem Vernehmen nach im Printbereich Vergütungen zwischen 50 Cent und 8 Euro vor, was für die Massendigitalisierung schon ein Hindernis sein könnte. In welcher Weise soll der Nachweis der Rechteinhaberschaft geführt werden, wenn ein anderer als der Urheber diese geltend machen will? Das Problem der Rechtsanmaßung ist bei verwaisten Werken, vor allem im audiovisuellen Bereich, wohlbekannt. Und wie soll verhindert werden, dass Rechteinhaber abwarten, bis die Institutionen die jeweiligen Werke digitalisiert haben, um sich dann zu melden, eine Entschädigung einzustreichen und das Digitalisat fortan selbst profitabel zu vermarkten? Wenn man sich vergegenwärtigt, wie hoch die Kosten gerade im Bereich der Filmdigitalisierung sind, ist das durchaus keine ganz abwegige Perspektive.

Last, not least: Wie genau soll die „diligent search“ aussehen, jene „gründliche Suche“ nach dem Rechteinhaber, die für die Klassifizierung eines Werks als verwaist eine conditio sine qua non darstellt. Hier ist der Gestaltungsspielraum des nationalen Gesetzgebers mit am größten. Till Kreutzer hat dazu einen interessanten Vorschlag unterbreitet: Man könnte die Suche crowdsourcen, also sie beispielsweise von Freiwilligen vornehmen und dokumentieren lassen, etwa im Rahmen eines Wikis. So könnte eine große und ständig wachsende Datenbank von verwaisten Werken entstehen.

Es stellen sich also viele Fragen, und man darf auf die ersten Umsetzungsvorschläge aus dem BMJ gespannt sein. DIE LINKE hat bereits Vorschläge für ein nationales Gesetz  unterbreitet, die allerdings ein gutes Stück weitergehen als die EU-Richtlinie.

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