DIGITALE LINKE
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Eine netzpolitische Exit-Option: Olaf Scholz‘ Absage an eine digitale Gesellschaft

Olaf Scholz (SPD) ist, seitdem er im Februar 2011 die Hamburgwahl mit absoluter Mehrheit gewann, sichtlich bemüht, das Image des vormals konturlosen Politikmanagers abzulegen. Noch als SPD-Generalsekretär unter Schröder wurde er in den eigenen Reihen als Scholzomat verspottet – „als hölzerner Redner ohne Gefühl für die Sorgen der Basis“ (n24), als „ein Hinterzimmermanager“ und „Basta-Politiker“ (taz).

Dass er in den 1980er Jahren als stellvertretender Bundesvorsitzender der Jusos dem linken Stamokap-Flügel angehörte (fes), der den Staat auf Basis der von Lenin entwickelten Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus als Erfüllungsgehilfen ökonomischer Monopole betrachtete, bildet dazu nur einen vordergründigen Widerspruch. Seine Rede zur Neuordnung der Medien- und Netzpolitik anlässlich der Eröffnung des Mediendialogs Hamburg am 28. Mai zeigt: Scholz hat das theoretische und praktische Rüstzeug von einst nicht abgelegt. Er plädiert für eine netzpolitische Exit-Option der Bundesländer zugunsten des medialen Konzernkapitalismus in Deutschland.

Doch der Reihe nach: In Anwesenheit von Mathias Döpfner (abendblatt), Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, forderte Hamburgs Erster Bürgermeister in seiner Eröffnungsrede „Fortschritt durch Technik – für eine Governance des Medienwandels“ eine Zusammenführung von Medien- und Netzpolitik. Dazu solle die Rundfunkkommission der Länder in eine Medienkommission umgewandelt und diese mit der Einführung eines Medienstaatsvertrags beauftragt werden. Scholz wörtlich:

„Die Rundfunkkommission der Länder sollte sich zu einer Medienkommission weiterentwickeln, um die Sicherung von erfolgreichen Geschäftsmodellen und gelingender Öffentlichkeit in den Blick nehmen zu können. Die 16 Bundesländer tragen hier gemeinsam die Verantwortung dafür, dass der Kern von Artikel 5 unseres Grundgesetzes Bestand hat und mit Leben erfüllt wird. Sie können beweisen, dass Föderalismus zu etwas gut ist. Die Vielfalt der Kommission und ihr Zwang zum Konsens sind eine Chance, jenseits des Rundfunkrechts auch ein öffentliches Forum für die Fragen unserer Medienwelt zu sein – letztlich der Kristallisationspunkt medienpolitischer Debatten. In ihr können – übrigens partnerschaftlich mit dem Bund – Fragen der Medienkonzentration, der Auffindbarkeit von Inhalten, der gesellschaftlichen Kontrolle des Rundfunks, der Freiheit der Presse, der weiteren Entwicklung des Internets wegweisend diskutiert werden – wenn alle den Willen haben, diese Verantwortung zu übernehmen […].

Wir sollten es uns als Länder zutrauen, einen Medienstaatsvertrag zu schreiben, der auf Artikel 5 des Grundgesetzes aufsetzt, eine umfassende Medienordnung auf der Höhe der digitalen Zeit beschreibt und so das vielfach geforderte level playing field absteckt.“

Ausgerechnet die Rundfunkkommission der Länder (künftig umbenannt in Medienkommission) als „ein öffentliches Forum“ zu bezeichnen, bedarf einer gewissen Chuzpe, handelt es sich doch bei diesem Gremium um ein außerparlamentarisches Verhandlungssystem jenseits von Transparenz und Partizipation. Angegliedert an die Staatskanzleien der Ministerpräsidenten und von diesen personell bestückt, bestimmen in ihr die SPD-geführten A-Länder zusammen mit den unionsgeführten B-Ländern über die Determinanten der Medienpolitik. Des einen Geben ist dort des anderen Nehmen und umgekehrt. Entsprechende Verhandlungsergebnisse in Form von Staatsverträgen haben die Landesparlamente im Nachhinein nur noch abzunicken.

Netzpolitik in ein solches Hinterzimmergremium abzuschieben, enthauptete sie jeglicher gesellschaftlichen Teilhabe. Die digitale Gesellschaft bildet denn auch in Scholz‘ Überlegungen lediglich eine Residualgröße. Sie wird paternalistisch repräsentiert durch die Entscheidungen der Ministerpräsidenten der Länder. Der Weg zu einer solch zielorientierten Media Governance – „auch mit robusten Mitteln“ – soll nach den Vorstellungen des Ersten Bürgermeisters über Art. 5 GG beschritten werden. Da das Grundgesetz Internetdienste nicht kennt, würden letztere pauschal dem Rundfunkbegriff zugeordnet.

Für die Bundesländer bildete ein solcher Weg durchaus eine gangbare Politikoption. In der medienrechtlichen Literatur wird mit überwiegender Meinung die Auffassung vertreten, Internetdienste seien aufgrund ihrer elektronischen Verbreitung der entwicklungsoffenen Rundfunkfreiheit zuzuordnen. Der Rundfunk als Endpunkt von Konvergenz (pdf) lautet das entsprechende Diktum. Allerdings wäre es eine netzpolitische Exit-Option. Mit ihr würde die Netzpolitik von der digitalen Gesellschaft abgetrennt und der paternalistischen Medienpolitik zugeschlagen.

Alleinigen Nutzen von der gepriesenen Politikoption hätten die deutschen Medienkonzerne. Scholz‘ Befund: „Medien- und Netzpolitik gehören genauso zusammen wie Content und Technology“, ist so oder ähnlich denn auch von den Vertretern der Deutschen Content Allianz (Pressemitteilung I, II) zu hören. Ihnen wurde erst jüngst mit dem Leistungsschutzrecht für Presseverlage ein Innovationsverhinderungsrecht geschenkt, das die Verbindung von Content & Technology an das Vorhandensein von Konzernstrukturen knüpft. Seitdem verweilen Döpfners Vorstandskollegen zu Arbeitsurlauben im Silicon Valley, um sich – wie hier zu besichtigen – von neuen Geschäftsmodellen zur Nachrichtenaggregation, die in Deutschland nicht ohne sie umsetzbar sind, inspirieren zu lassen.

Das lenkt den Blick auf Hamburger Nähen zum Springer-Konzern. Scholz hat sich nicht nur auf dem VDZ Publishers‘ Summit 2012 für das Leistungsschutzrecht (pdf) ausgesprochen, sondern auch ein mögliches Scheitern des Gesetzes verhindert. Hamburg gehörte bekanntlich zu jenen Presse-Standortländern, die die Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat und die Möglichkeit auf Diskontinuität hintertrieben (Update I). Vertreter der Stamokap-Theorie hätten an solch zweckmäßigem Verwachsen der staatlichen Organe mit den Monopolverbänden der großen Konzerne ihre helle Freude, andere würden Scholz‘ Perspektivenwechsel als Neokorporatismus bezeichnen.

Letztlich aber zeigt sich: Kommunikationsfreiheit, Autonomie und Teilhabe, damit die Grundlagen einer digitalen Gesellschaft, haben in Scholz‘ Denken keinen Platz. Darin erweist er sich anschlussfähig an die netzpolitischen Vorstellungen aus dem Bundeskanzleramt. Netzpolitik à la Mutter schiebt jene als vorrangig sicherheitsrelevant ins Bundesinnenministerium ab. Netzpolitik à la Scholz schafft einen robusten Raum für die Beherrschung von deren medialen Devianzen. Beides funktioniert nach den sattsam bekannten Politikmustern der analogen Gesellschaft. Es sind Absagen an eine digitale Gesellschaft.

 

tl;dr

Die Zusammenführung von Medien- und Netzpolitik in einer robusten Media Governance à la Scholz findet ohne die digitale Gesellschaft statt. Darin ist sie anschlussfähig zu den netzpolitischen Auffassungen der Bundeskanzlerin.

 

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