DIGITALE LINKE
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ver.di: Positionspapier zum Urheberrecht

Bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di wird um Positionen in Sachen Urheberrecht gerungen. Das wäre gut, käme einem die Gewerkschaft dabei nicht zunehmend vor wie Brechts Heilige Johanna der Schlachthöfe, nur weniger lernfähig. Das am Freitag bereits bei netzpolitik.org und iRights.info kommentierte Positionspapier zu „Internet und Digitalisierung“ des ver.di-Bundesvorstands ist leider ein Dokument der Ahnungslosigkeit. Man hat sich zwar allerlei Küchenrezepte für die Durchsetzung des Urheberrechts im Internet ausgedacht, es aber anscheinend nicht für nötig befunden, sich zu erkundigen, ob die vorgeschlagenen „Lösungen“ technisch machbar bzw. rechtlich plausibel, also mit Grundsätzen der geltenden Rechtsordnung vereinbar sind. Anders gesagt: Man hat selbst wenig Ahnung gehabt, keine Expertise eingeholt und, so berichten jedenfalls Teilnehmer des internen Mitgliedernetzes, alle entsprechenden Warnungen in den Wind geschlagen. Entsprechend sieht das Ergebnis aus.

Digitale Technik stehe „einer breiten Schicht von Konsument/innen zur Verfügung“, heißt es in der Einleitung, und biete aus Sicht der Nutzer einen „einfachen Zugang zu einem reichhaltigen Angebot an Wissens- und Kulturgütern.“ Das Internet gewinne „als Distributionsinstrument von Waren und Dienstleistungen aller Art an Bedeutung“. Gesamtgesellschaftlich komme es nun vor allem darauf an, „Betrug, Erpressung, Nazipropaganda und Verleumdungen“ zu unterbinden, während die Gewerkschaft in erster Linie für die Interessen der angestellten oder selbstständigen Erwerbstätigen der Medien- und Kulturbranche zuständig sei.

Wer so anfängt, kommt in Sachen Urheberrecht natürlich auf keinen grünen Zweig. Dass Internetnutzer in aller Regel nicht nur Konsumenten, sondern auch selbst Urheber sind, dass das Internet weit mehr ist als bloß ein Absatzmarkt für die Produkte der Medienindustrien und dass die Interessen der Medienschaffenden nicht gegen die Nutzer, sondern gegen die Verwerter verteidigt werden müssten, ist den Autoren dieses Papiers nur am Rande bewusst. Wie das berühmte blinde Huhn, das auch mal ein Korn findet, schimmert zwar hier und dort eine Ahnung davon durch, wovon ein solches Positionspapier eigentlich handeln müsste. So ist vom erheblichen emanzipatorischen Potenzial „leistungsfähiger Informationstechnik“ die Rede (als wäre Technik an sich schon demokratiefördernd), von „gesellschaftlicher Teilhabe“ und vom „wirtschaftlichen und kulturellen Wandel, der mit positiven Werten wie Kommunikations- und Informationsfreiheit einhergeht“. All dies findet aber letztlich in dem Papier keinen Niederschlag. Es reicht noch nicht einmal zu einem Lippenbekenntnis. Was als Folge des digitalen Umbruchs annonciert und in seinen Auswirkungen diskutiert werden müsste, wird bloß floskelhaft anzitiert und dann fallengelassen wie eine heiße Kartoffel. Stattdessen präsentiert das Papier nach der Einleitung statt einer Analyse ein wildes Sammelsurium an Vorurteilen.

Da geht es um die Konkurrenz, die „klassischen“ Medienunternehmen durch „Internetservices“ erwächst, womit ver.di einerseits Plattformen für user-generated content, andererseits Newsaggregatoren meint – nicht einmal Blogs kommen in diesem Universum vor. Es geht um „sogenannte Tauschbörsen“ und Online-Hoster, von denen man mal gehört hat, dass sie irgendwas mit Cloud Computing zu tun und „bisweilen eher das Erscheinungsbild von Mediendatenbanken“ haben.  Und es geht um Nutzer, denen das Internet „einen einfachen Zugang zu einem reichhaltigen Angebot an Wissens- und Kulturgütern“ bietet, wie es im Tonfall einer Supermarkt-Wurfsendung heißt, die jedoch wegen ihrer „Alles-Umsonst-Mentalität“ nicht zahlen wollen. Von Partizipation und „emanzipatorischem Potenzial“ ist an dieser Stelle schon längst nicht mehr die Rede. Öffentlichkeit ist für ver.di nicht anders denkbar denn als Öffentlichkeit einer Konsumgesellschaft, bei der die Interessen der Kreativschaffenden gegen die „der Nutzer/innen (auch der eigenen Mitglieder) an günstigen Waren und Dienstleistungen“ abgewogen werden müssen.

Vor diesem Hintergrund werden Creative Commons als „Modell kostenloser Lizenzen“ abgetan, die „keine Richtschnur für gewerkschaftliches Handeln in der Tarif-, Vergütungs- und Netzpolitik sein können“. Creative Commons ist ver.di jedoch nicht nur im Hinblick auf die „non-commercial“-Option unverständlich, sondern der Lizenzbaukasten wird völlig sachfremd mit Pharma-Patenten auf pflanzliche Wirkstoffe in Zusammenhang gebracht. Einen abstruseren Vorwurf wird man lange suchen müssen.

Von ähnlicher Unkenntnis ist die Ablehnung der Kulturflatrate geprägt, die dem Bundesvorstand zufolge „eine der Rundfunkgebühr vergleichbare Pauschalabgabe für die unbegrenzte private Nutzung von Werken“ sein soll, mit „das Kernstück des Urheberrechts – das Urheberpersönlichkeitsrecht, wonach dem Urheber/der Urheberin die alleinige Bestimmung obliegt, ob, wann und wie sein Werk veröffentlicht wird – vollständig ausgehebelt“ werde. Wenn man nach zehn Jahren Diskussion über die Kulturflatrate weder Promises to keep noch den einen oder anderen Beitrag von Volker Grassmuck gelesen hat, sollte man sich als Gewerkschaft zur Kulturflatrate besser gar nicht äußern. Was immer man von ihr halten mag: Es gibt im Urheberrecht diverse sogenannte „Schrankenregelungen“, die private, nicht-kommerzielle Nutzungen erlauben, ohne dass dabei das Urheberpersönlichkeitsrecht beeinträchtigt würde.

Garniert mit ideologischem Ballast über den „Wert urheberrechtlichen Schaffens“ und den „Respekt vor der darin verkörperten menschlichen Arbeit“ (solche Stilblüten sind beim Versuch, kreatives Schaffen als Arbeit im Sinne von Mehrwertproduktion zu konstruieren, wohl unvermeidlich), folgen dann die andernorts bereits ausführlich kritisierten Bekenntnisse zu Netzsperren. Sie sind in ihrer Unverblümtheit durchaus erstaunlich. Dass die Einführung einer Sperr- und Überwachungsstruktur, wie sie im Zusammenhang mit der Debatte um Kinderpornographie wiederholt gefordert wurde, in Wirklichkeit vor allem im Interesse der Contentindustrie wäre, der damit die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen erleichtert würde, war bislang kaum mehr als eine böswillige Unterstellung. Tatsächlich fordert ausgerechnet ver.di nun, „dass beim Aufruf einer Seite mit illegalen Angeboten ohne Registrierung der Nutzer/innen-IP auf dem Monitor eine – von dazu legitimierten Institutionen vorgeschaltete – Information über die Rechtswidrigkeit des Angebots und dessen Nutzung erscheint.“ Es geht also um ein Stoppschild für Urheberrechtsverletzungen, womit ver.di sich ins Zentrum der Löschen-statt-Sperren-Debatte katapultiert. An der Frage, warum offensichtlich rechtswidrige Angebote nicht gelöscht werden können, sondern gesperrt werden müssen, was eine Überwachung des gesamten Internetverkehrs voraussetzt, hatte sich in der letzten Legislaturperiode bereits die große Koalition die Finger verbrannt. Ein Jahr später schlägt ver.di nun in dieselbe Kerbe.

Eigene Ideen hat die Gewerkschaft aber auch: Nutzer, die „das Urheberrecht verletzen“, sollen zukünftig nicht mehr abgemahnt werden, sondern mit einem „maßvollen Ordnungsgeld“ belegt, das „den Verwertungsgesellschaften zufließen und an die Urheber/innen ausgeschüttet“ werden soll. Warum das jetzt plötzlich? „Diese Überlegungen verfolgen das Ziel, Auswüchse im derzeitigen Abmahnwesen einzudämmen.“ Statt privatrechtliche Ansprüche juristisch durchzusetzen, sollen sie also kollektiviert und staatlich verwaltet werden, um den Verwertungsgesellschaften eine neue Einnahmequelle zu verschaffen. Jeglicher Begründung für diese zumindest doch recht ungewöhnliche Zwangskollektivierung entbehrt das Papier. Es ist reiner Zweckopportunismus. Genauso könnte man fordern, das Geld sollte den armen Kindern in Afrika geschickt werden.

Last, not least empfindet ver.di auch Sympathie für die Forderung der Verwerterindustrie, Anbietern von urheberrechtlich geschützten Werken erst Warnhinweise zukommen zu lassen und sie im nächsten Schritt rechtlich zu sanktionieren. Diese als „Three-strikes“ oder abgestufte Erwiderung bekannte Policy möchte die Gewerkschaft anscheinend gern auf „Telemedien (Content Provider) und Diensteanbieter“ beschränkt sehen, ohne jedoch zu erklären, wie diese von Nutzern, die selbst Inhalte im Netz anbieten, unterschieden werden sollen. Es scheint durchaus fraglich, ob die Gewerkschaft sich überhaupt darüber im Klaren ist, dass sie hier für eine umfassende Vorratsdatenspeicherung eintritt.

Dabei ist es nicht in erster Linie die offensichtliche Unkenntnis der Materie, die man dem ver.di-Bundesvorstand vorwerfen muss, sondern seine Beratungsresistenz. Wer Expertise und Kritik gleichermaßen ablehnt, muss am Ende eben auch das verantworten, was er aufgrund von Ahnungslosigkeit eigentlich gar nicht verantworten kann.

7 Kommentare zu “ver.di: Positionspapier zum Urheberrecht”

  1. […] Matthias Spielkamp zerpflückt in seinem Immateriblog das Positionspapier  “Internet und Digitalisierung – Herausforderungen für die Zukunft des Urheberrechts” des Verdi-Bundesvorstands: “Das Papier strotzt vor Unkenntnis und analytischen Kurzschlüssen  (vom schlechtem Stil zu schweigen). Die Herausforderungen der Zukunft an das Urheberrecht wird Verdi mit den darin vertretenen Positionen jedenfalls nicht bestehen.” Den Grund für die Positionen von Verdi sieht Spielkamp in einer trügerischen Logik: “Es soll den Verlagen besser gehen (wann hat man mal gehört, dass das das Ziel ist, für das ver.di kämpfen sollte?), denn damit gehe es dem Journalismus und den Journalisten besser. Dieses In-Eins-Setzen der Ziele von Verlagen und Mitarbeitern (Angestellten und freien) ist ebenso falsch wie gefährlich.” Nachtrag: Auch Ija Braun verreißt bei Digitale Linke das Positionspapier der Gewerkschaft. […]

  2. Goetz Buchholz sagt:

    Ach wie gut, dass es Ilja Braun gibt. Zwar weiß man ja, was man von ihm zu erwarten hat, wenn es um ver.di – und dann auch noch in Kombination mit dem Thema Internet – geht. Aber dass er es mit seiner Voreingenommenheit schafft, bei mir Sympathie zu wecken für das Positionspapier meiner Gewerkschaft, das ich gestern mit großer Enttäuschung zur Kenntnis genommen hatte – das hatte ich nicht erwartet.

  3. Noch verdi-Mitglied sagt:

    Das ist nun aber ein ziemlich troll-hafter Kommentar. Inhaltliche Einwände werden gar nicht vorgetragen. Kann es sein, dass verdi daran kein Interesse hat?

  4. Anonymous sagt:

    Aufgelesen und kommentiert 2010-11-02…

    Einzelhandelsumsatz zum Vormonat real um 2,3 Prozent gesunken Armut in Amerika: „So schlimm war es noch nie“ Dazu passend: Deutsche Wahrheiten Arbeitslosenzahlen: Wie sich FAZ-Lohnschreiber Rainer Hank zum Vollhonk macht Gerd Habermann (FDP) schreibt…

  5. […] Braun hat die Einstellung, die sich in der Genese des Positionspapiers manifestiert, im Blog der Digitalen Linken als Beratungsresistenz charakterisiert. Genau diese Beratungsresistenz hat mich dazu gebracht, am […]

  6. […] in den vergangenen vier Wochen auf europäischer und deutscher Ebene Gewerkschaften im Rahmen der Urheberechtsdebatte rund um digitale Inhalte durch so […]

  7. […] Positionierung zum Urheberrecht eingeleitet werden könnte. Bislang hatte die Gewerkschaft in einem Positionspapier Urheberrecht und in ihrer Zustimmung zur Forderung des europäischen Gewerkschaftsdachverbands UNI-MEI nach […]