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Verhinderte Debatte: Koalition kastriert Unterausschuss Neue Medien

Die Regierungsfraktionen aus CDU/CSU und FDP haben heute zwei Themen von der Tagesordnung der 2. Sitzung des Unterausschusses Neue Medien (ebenfalls heute) nehmen lassen. Mit den nicht zur Debatte zugelassenen Gesetzentwürfen zur Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes von DIE LINKE, GRÜNEN und SPD (TOP 3a–c) – näheres dazu hier – sowie dem GRÜNEN-Antrag „Keine Vorratsdatenspeicherungen über den Umweg Europa“ (TOP 4) handelte es sich ausgerechnet um tagesaktuelle Themen zur Netzpolitik. Offizielle Begründung: Der federführende Rechtsausschuss habe keine Votenanforderung zur Übermittlung einer Stellungnahme angefordert.

Mal abgesehen davon, dass das Spiel Nichtbefassung per Beschluss durch die Regierungsmehrheit auch im federführenden Ausschuss gegeben wird, erstaunt der Sachverhalt umso mehr, als noch vor kurzem der Vorsitzende des Unterausschusses, Sebastian Blumenthal (FDP), sich gänzlich anderes erklärte. In einem Interview mit dem Online-Magazin The European vom 23.04.2010 hatte er das Recht auf Selbstbefassung herausgestellt und im Unterschied zur Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ die Bedeutung des Unterausschusses als Ort der Debatte für tagesaktuelle netzpolitische Themen betont:

The European: Sie sind Mitglied des Unterausschusses “Neue Medien”. Worin liegt der Unterschied zur Enquete-Kommission “Internet und digitale Gesellschaft”?
Blumenthal: Der Unterausschuss ist ein eigenes Arbeitsgremium, das sich als Querschnittsausschuss mit den tagesaktuellen Themen rund um Netzpolitik beschäftigen wird. Der Unterausschuss ist zwar formell an den Ausschuss für Kultur und Medien angegliedert, hat aber das Recht auf Selbstbefassung, d. h wir müssen nicht darauf warten, dass uns Themen überwiesen werden, sondern können uns eigenständig Themen auf die Tagesordnung setzen. Die Enquete-Kommission erarbeitet in den nächsten zwei Jahren hingegen mittel- und langfristige Handlungsempfehlungen für den Themenkomplex “Internet und digitale Gesellschaft”. Also: grundsätzliche Themen in der Enquete-Kommission, Tagespolitik im Unterausschuss.

Mit der heutigen Entscheidung der Koalitionsfraktionen wurde dieses Statement ad absurdum geführt. Der Unterausschuss Neue Medien wurde mit der Zustimmung des Vorsitzenden in seiner Funktion kastriert. Maßgebend für die Entscheidung waren nicht verfahrensrechtliche Probleme, sondern die Zerrissenheit der Koalition in grundlegenden Fragen zur Netzpolitik. Sowohl in Sachen Zugangserschwerungsgesetz als auch bei der Vorratsdatenspeicherung gibt es momentan keinerlei Bewegung zwischen CDU/CSU auf der einen und FDP auf der anderen.

Die Oppositionsfraktionen haben jetzt nur wenig Möglichkeiten, dem Diktat auf Nichtbefassung zu entfliehen. Im Unterschied zur Regierungsmehrheit, die Gesetzentwürfe zur Not in drei Tagen durch das Parlament peitschen kann, bestehen für sie lediglich eingeschränkte Verfahrensmöglichkeiten. Nach § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages können sie frühestens nach zehn Sitzungswochen einen Bericht über den Stand der Ausschussberatungen verlangen und diesen anschließend auf die Tagesordnung des Bundestages setzen lassen. Alternativ steht ihnen lediglich die Möglichkeit zu, eine öffentliche Anhörung zum Thema im federführenden Ausschuss auf Beschluss eines Viertels seiner Mitglieder (§ 70 Abs. 1) herbeizuführen.

Da die 1. Lesung der Oppositionsgesetzentwürfe am 25. Februar erfolgte, wäre nach dem Sitzungsplan des Deutschen Bundestages eine Berichtanforderung frühestens in Kalenderwoche 27 (5.–9. Juli) möglich, eine Aufsetzung auf die Tagesordnung nicht vor Kalenderwoche 37 (13.–17. September). Das käme den Regierungsplänen zupass, die Debatte erst nach der Sommerpause des Parlaments zu führen. Dann könnte sie im Falle des Zugangserschwerungsgesetzes auf die vorgesehene Evaluation nach einem Jahr verweisen und die Aufhebungsgesetzentwürfe in Folge für gegenstandslos erklären. Im Falle der Vorratsspeicherung von Daten auf europäischer Ebene schließlich wären bis dato wichtige Weichenstellungen getroffen. Sowohl die entsprechende EU-Richtlinie als auch die Verhandlungen zur Speicherung und Weitergabe von Fluggastdaten in die USA sollen bis Ende 2010 überprüft bzw. abgeschlossen sein.

P.S.: Nach der Entscheidung auf Nichtbefassung verblieben auf der Tagesordnung des Unterausschusses noch die Themen Datenschutz in Sozialen Netzwerken (TOP 1) und Ubiquitäres Computing (TOP 2a-b). Bei der Benennung von anzuhörenden Teilnehmern zu TOP 1 wurden die Oppositionsfraktionen im Vorfeld ebenfalls übergangen. Obgleich Verbraucherschutzministerin Aigner (CSU) erst kürzlich in einem Interview mit dem Focus mitgeteilt hatte, im Herbst einen entsprechenden Gesetzentwurf für einen verbesserten Verbraucherschutz im Netz vorzulegen, und letzte Woche ihren Facebook-Account aufgrund unzureichenden Datenschutzes und Verstoßes gegen die Privatsphäre medienwirksam aufkündigte, verweigerte die Koalition die Anhörung eines Vertreters aus ihrem Hause (BMVEL). Inoffizielle Begründung: strittige Federführung des BMVEL.

Ein Kommentar zu “Verhinderte Debatte: Koalition kastriert Unterausschuss Neue Medien”

  1. Anonymous sagt:

    Aufgelesen und kommentiert 2010-06-07…

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