DIGITALE LINKE
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Koalitionsvertrag: Vom uneingelösten Freiheitsanspruch des Internet

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Bild: „Freiheit“ von arrival – www.augensound.de (CC)

Der Koalitionsvertrag und das ausgehandelte Personaltableau zur Besetzung der Ministerien liegen abschließend vor. Gleich eingangs des Abschnitts „Informations- und Mediengesellschaft“ steht das Bekenntnis der Koalitionäre, das Internet als „das freiheitlichste und effizienteste Informations- und Kommunikationsforum der Welt“ (Z. 4609/4610) zu begreifen. Zeit also, eine Einschätzung über die von CDU/CSU und FDP getroffenen Vereinbarungen in Hinsicht auf den postulierten Freiheitsanspruch des Netzes vorzunehmen.

Folgende netzpolitische Schwerpunkte sind als markant auszumachen und bedürfen der Kommentierung:

Breitband: Trotz der formelhaften Beteuerung, in ländlichen Räumen werde die „flächendeckende Versorgung mit Infrastruktur für ein schnelles Internet […] massiv vorangetrieben“ (Z. 1686/1687), setzt Schwarz-Gelb die rein wettbewerbspolitisch motivierte Politik des zuvor CSU-geführten Bundeswirtschaftsministeriums fort. Ausgespart bleibt weiterhin, dass es gerade die Bedingungen eines im Kern unregulierten Marktes und von rein renditegesteuerten Marktakteuren sind, die sich aufgrund unzureichender Gewinnaussichten in dünnbesiedelten Gebieten als einschneidendes Hemmnis für eine flächendeckende Bereitstellung von Breitbandanschlüssen erweisen.

Die digitale Kluft zwischen Stadt und Land harrt auch künftig ihrer Aufhebung. Wurde von der letzten Bundesregierung immer wieder auf das Mittel Breitbandatlas verwiesen, mit dem festzustellen sei, wie Angebot und Nachfrage in unterversorgten Regionen zum Ausgleich gebracht werden können, wird nun ein gleichermaßen folgenloses „Monitoring zum Umsetzungsstand der Breitbandstrategie“ (Z. 4808) propagiert. Die damit verbundene Selbstverpflichtung zu „einem nachhaltig wettbewerblichen Umfeld“ (Z. 4812) ist es, mit der ein Bürgerrecht auf Breitbandanschluß – beim Telefonanschluß selbstverständlich – umgangen wird.

Auch die im weiteren genannten Maßnahmen sind alter Wein in neuen Schläuchen: Nutzung von Synergien beim Breitbandausbau, innovations- und investitionsfreundliche Regulierung sowie unterstützende Frequenzpolitik lauteten bereits die Kernpunkte der im Rahmen des Konjunkturpaket II (Februar 2009) vorgestellten Breitbandstrategie aus dem Hause Guttenbergs.

Der selbstgesetzte Anspruch, „eine digitale Spaltung der Gesellschaft zu verhindern“ (Z. 4620), reduziert sich somit allein auf das Ausschöpfen der „Digitalen Dividende“. Kein Wort aber findet sich davon, dass die Umwidmung des UHF-Spektrums (790–862 MHz) ohne ausreichende technische Verträglichkeitsprüfung erfolgt, enorme Folgekosten durch die Verlagerung des Produktions- und Veranstaltungsfunks (Drahtlosmikrophone) verursacht und in der Leistungsfähigkeit begrenzt ist.

Zur Erläuterung: Nach Messungen des Instituts für Rundfunktechnik sind Störeinstrahlungen sowohl in TV-Kabelanlagen als auch in TV-Endgeräte zu erwarten, betragen die (nicht gegenfinanzierten) Folgekosten für den Ersatz von Drahtloseinheiten im Kulturbereich nach Schätzungen 2,5–3,3 Mrd. Euro und ist Mobilfunk gegenüber kabelgebunden Technologien kapazitätsbegrenzt (abhängig von der Nutzerzahl).

Darüber hinaus bestehen keinerlei Anzeichen dafür, dass zumindest das einseitige, zugunsten der großen Netzbetreiber Telekom und Vodafone ausgerichtete, und darin sogar von der EU-Kommission (siehe hierzu den Bericht auf heise online) kritisierte, Auktionsarrangement der Bundesnetzagentur unter einem nun der FDP zugesprochenen Bundeswirtschaftsministerium korrigiert werden könnte. Im Koalitionsvertrag heißt es knapp, Interpretationsspielraum keinen Raum gebend:

„Die Frequenzen werden jetzt zügig versteigert“ (Z. 4827).

Urheberrecht: Mit der „Schaffung eines Leistungsschutzrechts für Presseverlage zur Verbesserung des Schutzes von Presseerzeugnissen im Internet“ (Z. 4776–4778) haben der Bund Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und die Axel Springer AG (siehe hierzu Matthias Spielkamp) am Kabinettstisch Platz genommen. Die Lobbyisten der Zeitungsverleger hatten es bislang offen gelassen, wie mittels Leistungsschutzrechten – ähnlich wie für Film- und Tonträgerhersteller – das für die Meinungsfreiheit konstitutive Zitatrecht gewährleistet werden kann und wie Journalistinnen und Journalisten – die zumeist über Total-Buy-Out-Verträge an die Verlage gebunden sind – an der digitalen Zweitverwertung ihrer Texte in Online-Medien beteiligt werden (siehe hierzu Till Kreutzer). Ebenso geschieht es nun im Koalitionsvertrag.

Darüberhinaus wird sich Schwarz-Gelb für „ein hohes Schutzniveau und eine wirksame Durchsetzbarkeit des Urheberrechts“ (Z. 4763/4764) einsetzen:

„Das Internet darf kein urheberrechtsfreier Raum sein. Wir werden deshalb unter Wahrung des Datenschutzes bessere und wirksame Instrumente zur konsequenten Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen im Internet schaffen. Dabei wollen wir Möglichkeiten der Selbstregulierung unter Beteiligung von Rechteinhabern und Internetserviceprovidern fördern. Wir werden keine Initiativen für gesetzliche Internetsperren bei Urheberrechtsverletzungen ergreifen.“ (Z. 4768–4773)

Die Betonung liegt hier auf keine gesetzlichen Internetsperren. Anzunehmen ist, dass die Koalition zum Schutz von Verwertungsinteressen Einflußnahmen und Gesetzesinitiativen auf der Ebene der Provider ergreift. Urheberrechtsverletzungen in Tauschbörsen könnten dann durch Bandbreitendrosselung sowie Vertragssperren für Nutzerinnen und Nutzer auf Basis der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) geahndet werden (siehe hierzu Markus Beckedahl).

Netzneutralität: Die Beibehaltung eines freien und gleichen Informationsflusses im Netz wird Netzbetreibern nicht rechtsverbindlich vorgeschrieben. Auch in diesem Fall ist Netzpolitik zuallererst Wettbewerbspolitik. Das Gebot, die Anbieter von Inhalten unterschiedslos und diskriminierungsfrei zu behandeln und die Weiterleitung sowie Geschwindigkeit von Paketen anhand ihres Inhalts nicht zu kontrollieren, fungiert allenfalls als zu beobachtende Residualgröße:

„Wir vertrauen darauf, dass der bestehende Wettbewerb die neutrale Datenübermittlung im Internet und anderen neuen Medien (Netzneutralität) sicherstellt, werden die Entwicklung aber sorgfältig beobachten und nötigenfalls mit dem Ziel der Wahrung der Netzneutralität gegensteuern.“ (Z. 4639–4642)

Das ist nichts anderes als die wettbewerbspolitische Position, die die Bundesnetzagentur seit langem vertritt. In einem öffentlichen Expertengespräch des Unterausschusses Neue Medien im Deutschen Bundestag war von deren Vertreterin, Iris Henseler-Unger, im Dezember 2008 zu vernehmen:

„Klare rechtliche Regelungen zur Adressierung von Marktmachtproblemen sowie die Förderung von Wettbewerb auf der Netzebene sind gegenüber spezifischen Regelungen zur Netzneutralität vorzuziehen. Wettbewerb auf der Netzebene begünstigt diskrimierungsfreien Zugang und vergrößert die Wahlmöglichkeiten für Kunden.“

Und: „Die Bevorzugung der eigenen Kunden dient dabei zum einen der Kundenbindung und zum anderen als Anreiz für die Nicht-Kunden, ebenfalls Kunde zu werden. Diese Vorgehensweise ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn sie im Rahmen der wettbewerbsrechtlichen Regeln abläuft.“

Das gegenwärtige – und nach dem Koalitionsvertrag auch künftige – Regulationsmodell für den Telekommunikationssektor ist blind für das Problem der Netzneutralität. Es verbleibt Markt- und Betreiberrecht. Ein systematischer Ausbau hin zu „einem Nutzerrecht, das nicht nur den gleichberechtigten Zugriff auf Information, sondern auch die gleichberechtigte Bereitstellung von Information umfasst“ (Rainer Fischbach), ist mit ihm ausgeschlossen.

IT-Infrastruktur: Für die Informationstechnik des Bundes, Projekte wie das De-Mail-Gesetz und den Datenschutz – der im Koalitionsvertrag als Stärkung des „Selbstdatenschutz[es]“ (Z. 4651) fröhliche Urständ feiert – wird auch künftig die CDU zuständig sein. Dass mit Thomas de Maizière (CDU) der bisherige Koordinator der Geheimdienste für den Aufbau des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik als „zentrale Cyber-Sicherheitsbehörde“ (Z. 4728/4729) zuständig wird, lässt aufhorchen. Auch war hier bereits Thema, dass mit de Maizière ein Verteidiger des „Zugangserschwerungsgesetz“ berufen wird, der nicht näher spezifizierte „Verkehrsregeln im Internet“ einforderte.

Der erneute Verzicht auf das Bundesinnenministerium könnte sich für das im Rahmen der Sperrdiskussionen wieder auferstandene Bürgerrechtsinteresse in der FDP schnell als Bumerang erweisen. Nach den liberalen Innenministern zu Zeiten der sozial-liberalen Koalition dominierte mit Friedrich Zimmermann, Wolfgang Schäuble, Rudolf Seiters, Manfred Kanther, Otto Schily und erneut Wolfgang Schäuble immer nur der Typus Sicherheitsminister. Für Bürgerrechte war da kein Platz. Dass es unter de Maizière anders wird, steht nicht zu erwarten.

Internetsperren: Die Aussetzung des sogenannten „Zugangserschwerungsgesetzes“ – um zunächst ein Jahr – bildet ohne Zweifel einen Erfolg der FDP in den Verhandlungen. Allerdings ist es aufgrund des zuvor Gesagten ein Erfolg auf Zeit. Obstruktionspolitik des Innenministeriums oder des ihm unterstellten Bundeskriminalamts (BKA) in der Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet könnte unter Zuhilfenahme einer erneuten Desinformationskampagne – Ursula von der Leyen (CDU) bleibt Familienministerin – das Thema bald wieder auf die Tagesordnung bringen:

„Nach einem Jahr werden wir dies im Hinblick auf Erfolg und Wirksamkeit evaluieren und aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse ergebnisoffen eine Neubewertung vornehmen.“ (Z. 4846–4848)

Hat die FDP bis zu diesem Zeitpunkt die Flanke Urheberrechtverletzungen im Netz nicht geschlossen, kehrt auch die Diskussion um Internetsperren zurück – angeführt durch den Stellvertreter Kinderpornographie.

Vorratsdatenspeicherung: Auf dem Feld der seit Ende 2007 gesetzlich vorgeschriebenen Registrierung von elektronischen Kommunikationsvorgängen unabhängig von jeglichem Anfangsverdacht oder konkreten Gefahrenhinweisen (Vorratsdatenspeicherung) konnte sich die FDP gegenüber der CDU/CSU nicht durchsetzen. Im Koalitionsvertrag heißt es:

„Wir werden den Zugriff der Bundesbehörden auf die gespeicherten Vorratsdaten der Telekommunikationsunternehmen bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung aussetzen und bis dahin auf Zugriffe zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben und Freiheit beschränken.“ (Z. 4896-4900)

Die hier mit der Konjunktion „und“ eingeleiteten Ausnahmen bedeuten – angesichts einer ansonsten behaupteten Aussetzung – nichts anderes als eine Verschleierung des ohnehin bestehenden Zustands. Das Bundesverfassungsgericht hatte im März 2008 in einer Eilentscheidung zur Vorratsdatenspeicherung beschieden, den Zugriff auf die erhobenen Daten zu Zwecken der Strafverfolgung bis auf weiteres nur eingeschränkt zu ermöglichen – nämlich auf Ermittlungsverfahren für schwere Straftaten im Sinne des § 100a Abs. 2  StPO. Ausdrücklich nicht ausgesetzt hatte es die Erhebung und Speicherung der Daten selbst.

Im Klartext: Es wird auch künftig weiter gespeichert. Der Koalitionsvertrag gibt der Politik ein Ziel vor, dem sie ohnedies bereits zu folgen hat. Zugleich wirft die gewundene Formulierung ein schlechtes Licht auf das hierin uneingeforderte Primat von Politik: In zentralen Fragen der Informationsgesellschaft bleibt erneut nur die Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht als Hort von Freiheitsrechten.

Kurz: Die im Koalitionsvertrag eingangs gesungene Freiheitsode auf das Internet ist keine. Regulierende Eingriffe in Infrastruktur, Technik und Betrieb des Netzes werden durchgängig zugunsten der Wettbewerbsfreiheit aufgelöst. Politische Freiheitsrechte changieren allenfalls auf Zeit oder als aus dem Wettbewerbsrecht abgeleitete Sekundärrechte. Es gilt: Auch auf dem Feld der Netzpolitik ist der Koalitionsvertrag im Kern ein Dokument des Neoliberalismus.

15 Kommentare zu “Koalitionsvertrag: Vom uneingelösten Freiheitsanspruch des Internet”

  1. […] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von Katharina Weise, Daniel Dietrich erwähnt. Daniel Dietrich sagte: Lesetip: Digitale Linke zum Koalitionsvertrag: Vom uneingelösten Freiheitsanspruch des Internet http://bit.ly/44mHOJ […]

  2. Wolferle sagt:

    Bei der CDU setzt nach einem Megagau beim Datenschutz im Bundeskanzlerinnenamt Umdenken ein. Wie erst jetzt bekannt wurde, waren die Webcams und Webmikros am Klo der Kanzlerin 48 Stunden lang öffentlich zugänglich.

    Hier finden Sie die Mitschnitte

  3. […] Sachen Internetsperren noch hinter die Vereinbarungen von Schwarz-Gelb im Koalitionsvertrag (siehe hier) zurückfiele. Darüber würde dann auch nicht ein von der SPD-Antragskommission zur Annahme […]

  4. […] ist insbesondere die verfahrensrechtliche Seite. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP (wir berichteten) steht dazu nichts. Die Presse kolportiert, Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und […]

  5. […] Bundesregierung nach ihrer Absage an gesetzliche Internetsperren im Koalitionsvertrag (wir berichteten) die Ahndung von Urheberrechtsverletzungen im Netz auf der Ebene der Provider voranbringen will. […]

  6. […] Spin die eigene Argumentation nun unterlegt wird, nachdem Schwarz-Gelb im Koalitionsvertrag (wir berichteten) gesetzliche Internetsperren zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen im Netz ausgeschlossen […]

  7. […] wie berichtet  ein “dritter Korb” der Novelle des Urheberrechts von Schwarz-Gelb erwogen wird, stehen […]

  8. […] Regelung in Gesetzesform zuvor kommen wollte. Da sowohl die EU-Kommission als auch die neue Bundesregierung in naher Zukunft Überarbeitungen des Urheberrechts in Erwägung ziehen, scheint die Branche […]

  9. […] von tagesschau.de (ab Minute 25) für „Löschen und Sperren“ plädiert und damit die im Koalitionsvertrag vereinbarte Position „Löschen statt Sperren“ ad acta gelegt. Heute hat de Mazière in einem […]

  10. […] in der Bekämpfung kinderpornographischer Inhalte im Netz berichtet. Im Koalitionsvertrag (siehe hier) hatten sich die Regierungsfraktionen auf den inzwischen von Teilen der CDU/CSU nachhaltig […]

  11. […] im letzten Jahr dafür gesorgt, dass die Forderung nach einem Leistungsschutzrecht Aufnahme in den Koalitionsvertrag […]

  12. […] Positionierung zur Netzneutralität fand nahezu unverändert Eingang in den Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb. Von Seiten der staatlichen Regulierungsbehörde nichts Neues […]

  13. […] Regierungsfraktionen aus CDU/CSU und FDP haben im Koalitionsvertrag festgehalten, die im Zugangserschwerungsgesetz vorgesehenen Internetsperren zu […]

  14. […] Bundesregierung nach ihrer Absage an gesetzliche Internetsperren im Koalitionsvertrag (wir berichteten) die Ahndung von Urheberrechtsverletzungen im Netz auf der Ebene der Provider regeln will. Hierin […]